8. Dezember

Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr – Rainer Maria Rilke

Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da hörst Du alle Herzen gehn und schlagen
wie Uhren, welche Abendstunden sagen:
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr,
da werden alle Kinderaugen gross,
als ob die Dinge wüchsen die sie schauen,
und mütterlicher werden alle Frauen
und alle Kinderaugen werden gross.

Da musst du draussen gehn im weiten Land
willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte
als ob dein Sinn der Städte nie begehrte,
so musst du draussen gehn im weiten Land.
Dort dämmern grosse Himmel über dir
die auf entfernten weissen Wäldern ruhen,
die Wege wachsen unter deinen Schuhen
und grosse Himmel dämmern über dir.

Und in den grossen Himmeln steht ein Stern
ganz aufgeblüht zu selten grosser Helle,
die Fernen nähern sich wie eine Welle
und in den grossen Himmeln steht ein Stern.

7. Dezember

Frau Holles Weihnacht

Karl Paetow schreibt:

„Wenn die Sonne in der langen Nacht versinkt, wenn der Mond den höchsten Gang vollendet, wenn Frau Holles Federn auf die Dächer schneien, wenn das warme Haus von den Herrlichkeiten süsser Fülle, voll dem Duft der Honigkuchen, Äpfel, Nüsse, Tannenreiser, von den Fragen all der Kinder ihrem Bitten, Lachen, Singen wiederklingt, wenn die Mutter das gebleichte Leinen unterm Tannenbaum ausbreitet und im Herd die traute Flamme summt, dann ist Weihnacht. Dann so sagen wir in unsrem Land, geht Frau Holle bei Menschen um. Und die Mädchen singen von ihr: 

Kommt ein Licht von Sternenhöh,
geht in unsere Herzen ein,
Leuchtet über Nacht und Schnee,
Schaut ihr Mädchen seinen Schein.
Kommt und tanzt im Sternengold,
Denn Frau Holle ist uns hold.

Steht ein Baum im Himmelssaal,
Hängt voll süsser Nascherei’n.
Fleissig drehte tausendmal
Sich das muntere Spinnrädlein.
Weihnacht muss die Arbeit ruh’n,
Denn Frau Holle geht nun um.

Singt ein Vogel Lieb und Treu,
Sitzt auf einem goldenen Zweig.
Morgen kommt die holde Frau,
Kommt aus ihrem stillen Reich.
Birgt ein Kind im warmen Schoss,
Und die Nacht wird hell und gross.

„Überall in der deutschen Erde liegt eine Goldene Wiege vergraben, aus der das Volk sich ewig verjüngt. Überall in den Brunnen und Seen der Heimat leben, nach uralten Glauben die Seelen der Kinder dahin. Überall in der Weihnacht, da sitzt Frau Holle am Borne des Lebens und wirkt das Schicksal der Welt und sinnt in der Mutternacht.“

Am kühlen Brunnen
Weilte Frau Holle,
Und wirkte an ihrem bunten Kleid.
Zu ihren Füßen
Eben entsprossen, 
Blühten drei Rosen auf einem Zweig.
Auf dem Berge lodert das Sonnengold
Heilige Nacht, –
Feuerrad bergunter rollt.
Heilige Nacht.

Da werden alle Wasser zu Wein,
Reden Tier und Waldvögelein.

Und sie wirkte
Zeichen und Bilder,
Ins silberne Tuch einen roten Hirsch.
Die goldene Sonne,
Vöglein am Brunnen,      
Den wehenden Jäger auf hoher Pirsch
In der Täler Faltensaum, –
Heilige Nacht, –      
Glanzumhüllt der Tannenbaum
Heilige Nacht.

Da werden alle Wasser zu Wein,
Reden Tier und Waldvögelein.

Und eine Wiege
Schwebte im Winde.
Sage was wiegst du den Sternen zu?
Fröhliche Kunde‘
Von einem Kinde 
Wieg es zum Leben und wiegs zur Ruh
Denn Frau Holle wirkt an dem Schicksalsquell.
Heilige Nacht, –
Erd und Himmel werden hell –
Heilige Nacht.

Da werden alle Wasser zu Wein,
Reden Tier und Waldvögelein

In vielen Gegenden Deutschlands, so auch im Meißner-Land, war es Frau Holle, die zu Weihnachten auf ihrem Schlitten in den Dörfern erschien und die Weihnachtsgaben verteilte.


Der Bergmann und sein Weib


Federzeichnung: Frau Holle fährt gabenspendend durch die Dörfer und schenkt der Bergmannsfrau eine goldene Spindel.


Frau Holle und die Bergmannsfrau Federzeichnung von Gisela Heller, 1995
In: Frau Holle: Mythos, Märchen und Brauch in Thüringen, S. 91, Deutsches Märchen- und Wesersagenmuseum Bad Oeynhausen


Auch im benachbarten Thüringen, vor allem in Südthüringen, in der Rhön und in Unterfranken war die Holle als Gabenbringerin mancherorts bis in die heutige Zeit unterwegs. So schreibt Andrea Jakob in dem Begleitband zur Meininger Holle-Ausstellung 2009/2010 folgendes:

„In verschiedenen Gegenden war Frau Holle entweder vor dem Christkind, gemeinsam mit ihm oder gar an dessen Stelle präsent … Sie konnte aber auch … recht strenge sein, die Frau mit dem Schleiereulengesichte und dem buntscheckigen Gewande, mit der Sichel und dem Wacholderbusch auf dem Rücken und der Besenrute in der Hand.

Woher sie kam, Frau Holle, wir wußten es nicht. Sie war da am Weihnachtsabend, schlich durch die stillen Dorfgassen, klopfte an die Türen der Häuser, in denen Kinder des funkelnden Christbaums und der bestellten Gaben harrten und erhielt überall Einlaß … Ähnliches wurde aus der Umgebung des hessischen Meißners erzählt, daß Frau Holle die unartigen Kinder mit der Rute strafte, wenn sie zu Weihnachten kam. Den Gehorsamen brächte sie Spielzeug, Äpfel und anderes mit. Auch im Göttinger Land erschien Frau Holle als Trägerin der Weihnachtsbescherung und außerdem würde sie an jedem Neujahrsabend mit einem Wagen voller Geschenke durch die Ortschaften fahren.“
 
Andrea Jakob, Wer war Frau Holle? In: Frau Holle: Mythos, Märchen und Brauch in Thüringen. Katalog zur Ausstellung in den Meininger Museen 11.11.2009 bis 5.2.2010, hrsg. von den Meininger Museen, 2010, S.115/116; s.a. Anmerkungen 100 bis 104).

6. Dezember

Knecht Ruprecht – Theodor Storm

Von drauß‘, vom Walde komm ich her;
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! – 
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein blitzen
und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.

Und wie ich so strolcht‘ durch den finstern Tann,
da rief’s mich mit heller Stimme an:
„Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell‘,
hebe die Beine und spute dich schnell!


Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt und Junge sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
und morgen flieg ich hinab zur Erden;
denn es soll wieder Weihnachten werden!”

Ich sprach: „O, lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist;
ich soll nur noch in diese Stadt,
wo’s eitel gute Kinder hat.”

„Hast denn das Säcklein auch bei dir?”
Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier;
denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
essen fromme Kinder gern.

[„Hast denn die Rute auch bei dir?”
Ich sprach: „Die Rute, die ist hier;
doch für die Kinder nur, die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten!”]

Christkindlein sprach: „So ist es recht;
so geh mit Gott, mein treuer Knecht!”

Von drauß‘, vom Walde komm ich her;
ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

[Nun sprecht, wie ich’s hier innen find!
Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?]

5. Dezember

Die weiße Weihnachtsrose – Hermann von Lingg

Wenn über Wege tief beschneit,
Der Schlitten lustig rennt,
Im Spätjahr in der Dämmerzeit
Die Wochen im Advent,
Wenn aus dem Schnee das junge Reh
Sich Kräuter sucht und Moose:
Blüht unverdorrt im Frost noch fort
Die weiße Weihnachtsrose.

Kein Blümchen sonst auf weiter Flur;
In ihrem Dornenkleid
Nur sie, die niedre Distel nur
Trotzt allem Winterleid;
Das macht, sie will erwarten still,
Bis sich die Sonne wendet,
Damit sie weiß, daß Schnee und Eis
Auch diesmal wieder endet.

Doch ist’s geschehn, nimmt fühlbar kaum
Der Nächte Dunkel ab,
Dann sinkt mit einem Hoffnungstraum
Auch sie zurück in‘s Grab.
Nun schläft sie gern; sie hat von fern
Des Frühlings Gruß vernommen,
Und o wie bald wird glanzumwallt
Er sie zu wecken kommen!

3. Dezember

Der Weihnachtsstern – Franz von Pocci


Von Osten strahlt ein Stern herein
Mit wunderbarem hellem Schein,
Es naht, es naht ein himmlisch Licht,
Das sich in tausend Strahlen bricht!
Ihr Sternlein auf dem dunklen Blau,
Die all ihr schmückt des Himmels Bau,
Zieht euch zurück vor diesem Schein,
Ihr werdet alle winzig klein!
Verdunkelt, Sonnenlicht und Mond,
Die ihr so stolz am Himmel thront.
Er nahet heilig leuchtend fern
Vom Osten her der Weihnachtsstern.

4. Dezember

Stimmungsvoller Advent – Anita Menger

Atem holen – In sich gehen,
staunend all die Wunder sehen,
die der Weihnachtsgeist uns schenkt:
Besinnlicher Advent!

Kerzenschimmer, Festtagsglanz,
Winterzauber, Flockentanz,
Hoffnungslicht am Firmament:
Verklärender Advent!

Miteinander Zeit verbringen,
Freude schenken. – Hell erklingen
Weihnachtslieder, die man kennt:
Beglückender Advent!

Dankbar auf das Gute schauen,
Hände reichen, Brücken bauen.
Überwinden was uns trennt:
Versöhnlicher Advent!

2. Dezember

Weihnachten – Joachim Ringelnatz

Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle,
mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit.
Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle
schöne Blumen der Vergangenheit.
Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise,
und das alte Lied von Gott und Christ
bebt durch Seelen und verkündet leise,
dass die kleinste Welt die größte ist.

1. Dezember

Weihnachten – Joseph von Eichendorff

Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.
An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.
Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Hehres Glänzen, heilges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!
Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schnees Einsamkeit
Steigts wie wunderbares Singen
Oh du gnadenreiche Zeit!